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Titel
Roma Docta. Northern Europeans and Academic Life in the Renaissance


Autor(en)
Matheus, Michael
Erschienen
Regensburg 2020: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Sembdner, Lehrstuhl für Sächsische und Vergleichende Landesgeschichte, Universität Leipzig

Die Bedeutung Roms als Studienort sei bisher deutlich unterschätzt worden, so die Eingangsthese von Michael Matheus im Vorwort der hier vorgelegten Aufsatzsammlung. Grund sind vor allem große Überlieferungsprobleme, haben sich doch klassische Quellen der Universitätsgeschichte nicht erhalten. So war sich die ältere Forschung einig, dass das Studium im Rom der Renaissancezeit, ob nun an der Kurienuniversität oder der stadtrömischen Universität, weder beliebt noch bedeutend gewesen sei. Matheus, von 2002 bis 2012 Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten intensiv mit der Geschichte der römischen Universitäten in Mittelalter und Früher Neuzeit beschäftigt und diesem Themenfeld zahlreiche Studien gewidmet. Der vorliegende Band versammelt 13 Aufsätze des Autors aus den Jahren 1999 bis 2020 in englischer Übersetzung, die zuvor in deutscher bzw. italienischer Sprache erschienen sind. Das Format der Aufsatzsammlung ist nach eigenem Bekenntnis des Autors der Notwendigkeit geschuldet, dass zahlreiche Verpflichtungen die Arbeit an einer Monografie verhindert hätten. Gewisse Redundanzen sind also zu erwarten und unvermeidbar. Die einzelnen Beiträge wurden, soweit erkennbar, punktuell um neuere Literatur, zum Teil auch um Quellenanhänge ergänzt. Leider wird dies im Vorwort nicht kenntlich gemacht. Genauso vergeblich sucht man entsprechende Nachweise der Erstveröffentlichung, lediglich bei den Abbildungsnachweisen (S. 399f.) wird gelegentlich darauf verwiesen.1

Nun kann die Geschichte der römischen Universitäten im 14. und 15. Jahrhundert spätestens seit Brigide Schwarz‘ voluminöser Monografie aus dem Jahr 20132 kaum noch als schlecht erforscht (allerdings immer noch als schlecht überliefert) gelten, doch scheint die Rezeption dieses gewichtigen Grundlagenwerks in der Forschung mithin verbesserungswürdig. Während Schwarz den Überlieferungsproblemen der römischen Universitätsgeschichte durch die konsequente Nutzung der vatikanischen Überlieferung eine erschöpfende Institutionengeschichte abtrotze, verfolgen Matheus‘ Aufsätze einen anderen Weg. Nach einem historiographischen Überblick über die Erforschung des deutschen Studiums in Italien (S. 13–20), geht es im ersten Teil des Bandes weniger um die römischen Universitäten an sich als um Rom als Studienort selbst, um in Rom wirkendende herausragende Persönlichkeiten und um die Studieninhalte. Die Arbeiten entstanden vor dem Hintergrund jüngerer Forschungen, die den kosmopolitischen und internationalen Charakters Roms herausgearbeitet haben.3 Die beiden das Kapitel rahmenden Beiträge (S. 23–44 und S. 165–188) betonen die Bedeutung der Verflechtungen der beiden römischen Universitäten mit anderen Institutionen vor Ort. Erst im Verbund mit Kollegien, Sodalitäten und diversen humanistischen (Privat-)Bibliotheken lasse sich der Studienort Rom begreifen.

Die Bedeutung des Humanismus in Rom bzw. an den römischen Universitäten wird an gelehrten Persönlichkeiten wie Johannes Corycius, Johannes Regiomontanus oder Nikolaus Kopernikus gezeigt, die entweder in Rom studiert hatten oder dort Studienzirkel betrieben. Dementsprechend behandeln zwei Beiträge herausragende Humanisten und Gelehrte und deren Wirken in Rom, nämlich Pomponius Laetus (S. 45–52) und Nikolaus von Kues (S. 53–69). Insbesondere Pomponius steht als Rollenmodell für jene ultramontani, die zum Studium nach Rom bzw. Italien kamen, angelockt von Humanisten wie etwa Pomponius selbst, um sich ganz dem Studium der alten Sprachen und der antiken Geschichte zu widmen.

Um die Anziehungskraft Roms für die ultramontani drehen sich denn auch die anschließenden Beiträge. Anhand des Trierer Kanonisten Ludolf von Enschringen (S. 71–96, mit Ludwig Schmugge) zeichnet Matheus den typischen Karriereweg eines spätmittelalterlichen Humanisten nach, in dessen vita academica ein Studienaufenthalt in Rom und der Erwerb eines Doktorgrades ebendort eben keine Seltenheit war. Diesem Themenfeld (Studienaufenthalt und Erwerb akademischer Grade) widmen sich die folgenden Beiträge im Allgemeinen (S. 97–106), anhand der Verbindungen von ultramontanen Studenten und kurialen Notaren im Besonderen (S. 107–127) oder prominent anhand der Humanisten Ulrich von Hutten und Wilhelm III. von Enckenvoirt (S. 129–164). Alle Aufsätze unterstreichen die Bedeutung und Anziehungskraft Roms als Studienort für Studenten und Gelehrte aus dem Reich, die gerade hier, insbesondere durch die Anwesenheit der Kurie, internationale Kontakte knüpfen und wissenschaftlich-humanistischen Austausch betreiben konnten. Weitgespannte akademische Netzwerke hatten ihren Ausgangspunkt in der Ewigen Stadt.

Im zweiten Teil der Aufsatzsammlung öffnet sich die Perspektive hin zum nordalpinen Raum, sodass die römischen Universitäten in den Kontext der europäischen Universitätsgeschichte eingebettet werden. Die ersten drei Beiträge dieses Kapitels (S. 191–216, 217–237, 239–255) behandeln im Kern die Gründung der Universität Mainz 1477 und die personellen Verflechtungen zwischen der Stadt am Tiber und jener am Rhein. Hier wiederholt sich, trotz gewisser unterschiedlicher Gewichtung, doch einiges, insbesondere das Bemühen des Mainzer Erzbischofs Adolf II. um die Erlaubnis zur Errichtung eines Studium Generale und die Bedeutung des Heiligen Jahres 1475. Der abschließende Beitrag des zweiten Hauptteils (S. 257–272) richtet noch einmal den Blick auf die vatikanische Überlieferung und deren Bedeutung für die europäische Universitätsgeschichte. Exspektanzen auf Pfründen bzw. Kanonikate bieten Hinweise zur Finanzierung von Universitäten, zeichnen zugleich aber auch akademische Karrieren nach. Bittschriften an die Pönitentiarie geben Einblicke in das soziale Zusammenleben der Universität mit der sie beherbergenden Stadtgesellschaft. So unterstreichen die Aufsätze zugleich die kaum zu überschätzende Bedeutung der am DHI Rom vorangetriebenen Editionswerke des Repertorium Germanicum und des Repertorium Poenitentiariae Germanicum – und das nicht nur für die römische Universitätsgeschichte.

Den Abschluss bildet ein Aufsatz über Papst- und Romkritik in der Renaissance (S. 275–314, 2017 erstmals erschienen), welcher unter der Kapitelüberschrift „Perceptions and Cultural Transfers“ firmiert. Matheus will zeigen, dass erst die humanistische und besonders reformatorische Romkritik, nicht zuletzt aufgrund des Buchdrucks, eine neue Qualität erreicht hätten und in politische Propaganda umschlugen, woran sich auch „nationale“ Diskurse (in Form eines deutsch-italienischen Gegensatzes) angeschlossen hätten. Der Beitrag knüpft zwar an die zuvor ausgiebig behandelten humanistischen Netzwerke in Rom an, will allerdings inhaltlich nicht so recht zum Rest der versammelten Aufsätze passen.

Als kritische Nebenbemerkung sei festgehalten, dass die Ordnung des Literaturverzeichnisses (S. 315–397) in Kombination mit der im Band genutzten Kurzzitation (Name, Jahr) der Orientierung des Lesers nicht unbedingt zuträglich ist. Da das Verzeichnis nicht nur streng alphabetisch nach Autorennamen, sondern auch nach den zugehörigen Publikationstiteln sortiert ist (wobei Aufsätze in Anführungszeichen, Monografien hingegen ohne Anführungszeichen), bei gleichen Autoren aber keine chronologische Sortierung vorgenommen wurde, steht eben Esch 2006 zwischen Esch 2005a und Esch 2005b, worauf dann Esch 1994 und Esch 2012 folgen usw. Auch Publikationen mit mehreren Autoren verirren sich so an Stellen, an denen man sie nicht erwarten würde. Zudem gerät mancher Verweis in den Fußnoten durch Neubearbeitung und Übersetzung ins Kryptische und ist erst mit Blick in die Erstveröffentlichung zu verstehen.4 Schließlich vermisst man ein Orts- und Personenregister.

Ungeachtet dessen liegt mit dieser Aufsatzsammlung nun ein wichtiges Werk zur römischen Universitätsgeschichte der Renaissancezeit vor. Aufgrund der Übersetzung ins Englische darf der Band zudem auf Breitenwirkung in der scientific community hoffen. Dies ist ihm nicht zuletzt aufgrund der eingangs festgestellten Diskrepanz zwischen der historischen Bedeutung der römischen Universitäten und der einschlägigen Forschungsmeinung nur zu wünschen. Zusammen mit der schon angesprochen Arbeit von Brigide Schwarz bildet der vorliegende Band eine unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen.

Anmerkungen:
1 Diese Praxis erscheint nicht ganz unproblematisch, wenn etwa der ursprünglich 2013 erschienene Beitrag „Registri di curia e lauree ‚romane‘ di ultramontani“ unter dem doch sichtlich veränderten Titel „Clerics form Worms and the Acquisition of Academic Degrees in Rome“ (S. 97–106) firmiert.
2 Brigide Schwarz, Kurienuniversität und stadtrömische Universität von ca. 1300 bis 1471 (mit prosopographischen Anhängen) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 46), Leiden 2013; vgl. die Rezension von Robert Gramsch-Stehfest über Brigide Schwarz, Kurienuniversität und stadtrömische Universität von ca. 1300 bis 1471 (mit prosopographischen Anhängen), Leiden 2012, in: H-Soz-Kult, 25.06.2014, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-19497 (02.07.2021).
3 Vgl. etwa Michael Matheus / Arnold Nesselrath / Martin Wallraff (Hrsg.), Martin Luther in Rom. Die ewige Stadt als kosmopolitisches Zentrum und ihre Wahrnehmung (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 134), Berlin 2017.
4 Beispielsweise S. 197, Anm. 40: „Miglio 1997; Miglioinous recent literature, see M. XY–Z) in this volume. his volume. 2000” (sic!).